…oder, wie die Dinge aus dem Ruder laufen können…
Ostern nähert sich mit großen Schritten… Osterzeit ist Oppa Jupp Zeit… Aber eigentlich ist jede Zeit Oppa Jupp Zeit. Oppa Jupp ist immer da. Dennoch tanzen die Gedanken an unvergessliche Kinder-Ostersonntage jedes Jahr aufs Neue und schlagen Erinnerungskapriolen kindlicher Freude. Ostersamstag fing der heilige Osterzirkus an, Eierfärben in Mutter Marys Küchenheiligtum war lustiger Weise Männer- und Ehrensache für Oppa Jupp. Erst wurden die Eier fachgerecht und sorgfältig angepiekst. Dann ließ er sie vorsichtig mit dem Esslöffel ins kochend sprudelnde Wasser gleiten. Während die Eier kochten, hatte Oppa Jupp die Uhr argwöhnisch im Auge – 8 Minuten Kochzeit durften auf keinen Fall überschritten werden, damit das Eigelb keinen graugrünen Rand bekam-, wurden die kleinen Farbplättchen in Essig und kaltem Wasser in hübsch drapierten Schälchen aufgelöst. Schlug die Uhr acht Minuten, holte Oppa Jupp die Eier aus dem kochenden Wasser, um sie vorsichtig abzuschrecken. Als Kind habe ich nie so ganz verstanden, warum dieser Vorgang abschrecken hieß…kein Gruseln, kein schreien, kein Monster weit und breit… nicht mal ein Klitzekleines. Im Sommer der folgte wurde ich eines Besseren belehrt, als Oppa Jupp den Wasserschlauch mit eiskaltem Wasser auf mich richtete und ich erschreckt quietschend davonstob…Oppa Jupps Lachen im Nacken…siehste genau wie bei den Ostereiern…okay, okay…die Sache mit dem abschrecken war irgendwie verstanden.
Während also Oppa Jupp die hartgekochten Eier liebevoll im Farbbad hin und her schob, damit sich nur ja keine blasse Stelle auf dem Ei entwickelte, bekam das quengelnde Kind, bekam also ich, merkwürdig anmutende glibbrige Farbstäbchen in die Hand gedrückt, mit denen auch ich schneeweiße Eier, die zuvor mit Hamsterbacken und vereinten familiären Kräften ausgepustet worden waren, bemalen und betupfen durfte… gefühlt hat es bis in die Pubertät gedauert, bis sich die Farben so von einander trennten, wie ich es mir vorgestellt hatte und nicht mehr braun grüne Sumpflandschaften mit Brueghelcharakter auf den Eiern hinterließen. Dennoch nicht entmutigt entstand ein Kinderfrühwerk nach dem nächsten, mehr Farbe auf dem Kind, als letztendlich auf den Eiern, bis Oppa Jupp das Prozedere der perfekt gefärbten Ostereier abgeschlossen hatte. Wir waren stolz und bewunderten die jeweiligen Ergebnisse. Beim Pollieren der gefärbten Eier, mit einer von Oma Mary geklauten Speckschwarte, durfte ich Oppa Jupp dann wieder zur Hand gehen. Farbenprächtigste, formvollendet makellose und auf Hochglanz gebrachte Eier standen am Ende für den Osterhasen abholbereit.
Während Oppa Jupp und ich unserem gewichtigen Treiben nachgingen, trudelten meistens schon Mutter Marys Bruder – Onke Pepi in eleganter Begleitung – mit Tante Käthchen auf der Bildfläche des österlichen Szenarios auf. Mit einem weiteren nicht unwichtigen Accessoire für das bevorstehende Osterfrühstück – dem berühmten Flockenkalb, das, nach erstmaliger Einführung, niemals mehr fehlen durfte. Das Flockenkalb war ein eigens für das bevorstehende Großereignis gebackene Osterlamm aus süß zitronigem Teig mit fellimmitierenden Kokosraspeln bestreuselt.
An den Rest des Samstags fehlt mir jede Erinnerung. Die setzt erst wieder am Ostersonntag – früh morgens ein, das ganze Haus noch mehr oder minder im Tiefschlaf, als ich auf der Lauer liegend darauf wartete, endlich den Osterhasen auf frischer Tat zu ertappen. Wirklich gelungen ist mir das nie!!! Denn der Osterhase wusste nur allzu genau, dass das aufgeregte Kind sehr früh auf den Beinen sein würde und war noch viel früher unterwegs. Um sich dann wieder gemütlich ins Bett zu kuscheln, was sich mir erst Jahre später offenbarte. Genau genommen gab es bei uns nicht nur einen Osterhasen sondern zwei. Oppa Jupp und Onkel Pepi, die eine diebische Freude beim Suchen und Finden der abenteuerlichsten Verstecke hatten.
Die Krönung des ausgeklügelsten Verstecks trug sich zu, als ich gerade so sechs war, im Frühling vor der Einschulung. Die ganze Versteckerei erfolgte nach einem sehr stringenten Plan. Die gefärbten Eier wurden einzeln versteckt, das ein oder andere blieb bis zum Sommer verschwunden und wurde erst durch seinen strengen Geruch an heißen Sommertagen gefunden. Dann gab es eine Handvoll kleinerer Moosnester, die mit Schokoladen- und Nougateiern, bunten Schaumeiern und zweifarbigen Waffeleiern bestückt waren. Und dann gab es ein großes Hauptnest, das wichtigste Ziel meiner kindlichen Jagd, in dem ein kleines Spielzeug lag. Aber viel wichtiger war der große goldene Schokoladenosterhase, mit rotem Bändchen und güldenem Glöckchen das klingelte, den Onkel Pepi, der Bruder meiner Oma, immer direkt aus der Schweiz mitbrachte, um ihn dem Osterhasen zu übergeben. Und der wie ein Hüter der Zeit glänzend über allem thronte. Für das große Osternest wurde immer ein besonders schwierig zu findender, mit großer Raffinesse ausgetüftelter, beinahe an Heimtücke grenzender, Platz gesucht. Mal wurde das Nest in einen Baumwipfel hochgezogen, aber gerade noch zu erkennen, mal ins Vogelhäuschen gequetscht, mal lag es unter braunen Tannennadeln im Wäldchen vergraben…Auf meinen Suchen begleiteten mich die Stimmen von Oppa Jupp und Onkel Pepi…warm, wärmer, kälter….gaaaanz kalt…heiß.
Und dann kam dieser eine besagte Ostersonntag, der mein kleines Kinderherz sehr ins Wanken und schließlich ins Taumeln brachte. Nachdem ich so ziemlich alle Eier gefunden hatte, die kleinen Nestchen stolz auf Oppa Jupps Gartenbank drapiert hatte, blieb das große Osternest mit der goldenen Trophäe für mich verschwunden. Jeden Winkel, jede Ecke hatte ich durchstöbert, jedes noch so kleinste Blättchen dreimal umgedreht… Alles hatte ich abgesucht…mehrfach und immer und immer wieder… Wenn ich an Oppa Jupps Treibhaus vorbeikam, hörte ich die beiden Männer sagen: wärmer, wärmer, sehr warm und an den riesigen Regenwassertonnen: sehr heiß… aber da war einfach nichts… nicht davor, nicht dahinter, nicht dazwischen…nirgends… es war zum verzweifeln…was ich nach der zehnten erfolglosen Runde ums Treibhaus auch tat. Ich verzweifelte! Tränen der Wut und Enttäuschung brachen sich ihre Bahn. Ich war nicht zu beruhigen….
Oppa Jupp und Onkel Pepi, die bis dahin eine Riesenfreude damit hatten, dass ihr Versteck unentdeckt blieb, verstummten mit ihrem feixen schlagartig. Oh je, den Spaß auf die Spitze getrieben und darüber hinaus, nahm Oppa Jupp mich auf den Arm, sprach beruhigend auf mich ein…aber ich war nicht zu beruhigen…schluchzte und bebte an seinem Hals… Dann hielt Oppa Jupp mich über die Regentonne, die wesentlich größer war, als ich, hob den Deckel an…und da schwamm es, das große Osternest in einer Plastikschüssel – mit dem goldenen Hasen mittendrin!
Ich war so wütend auf diesen scheiß blöden bekloppten Osterhasen… schimpfte wie ein Rohrspatz, während die Tränen weiter kullerten…bis Oppa Jupp und Onkel Pepi mir sagten, dass es nicht der Osterhase war, sondern dass sie – die beiden – selber es gewesen waren, die das Nest in die Tonne gesetzt hatten! Weil sie im Auftrag des Osterhasen das allerbeste Versteck finden sollten…Tolle Wurst!! Ich schnappte eine gefühlte Ewigkeit nach Luft und beruhigte mich wieder. Schließlich war der goldene Hase da. Und irgendwie geriet meine kleine große Kinderwelt wieder in Ordnung…denn der Osterhase war nicht gemein und letztendlich hatten die beiden mir schließlich beim finden geholfen.
Ich habs überlebt und sämtliche Lindthasen auch. Ich konnte die nicht essen, brachte es einfach nicht übers Herz. Oppa Jupp auch nicht und so hat er sie gesammelt. Und so fanden wir in Oppa Jupps Wohnzimmerschrank nach seinem Tod ungefähr 13 mumifizierte Lindthasen, die immer noch in ganzer Pracht golden leuchteten und klingelten.
Oppa Jupps Geschichten haben immer was mit Yoga, yogischem Leben zu tun, sind manchmal Gleichnisse… Aber diese Ostergeschichte??? Vielleicht, dass kindliche Freude – in diesem Fall Oppa Jupps Freude am perfekten Versteck – so groß sein kann, dass man kurzfristig das Gegenüber vergisst und nicht merkt, dass man den Bogen überspannt. Das kann passieren. Ohne Harm. Ohne böse Gedanken… einfach so! Aber wenn so etwas passiert, ist es wichtig, wie man anschließend damit umgeht, wenn das Kind sprichwörtlich in den Brunnen gefallen ist… und meines Erachtens hat er es richtig gemacht… er hat das Kind herausgezogen, die Ehre des Osterhasen wieder hergestellt, das Kind in den Arm genommen und nicht das Kind – also mich jetzt – glauben gemacht, es wäre doof…
Ich vermisse Oppa Jupp und sein liebevolles Wesen und sein intuitiv lebensbejahendes Wissen an jedem einzelnen Tag… und gerade jetzt besonders, in einer Zeit, in der viele Menschen alles tun, damit uns unsere Welt und unser Leben um die Ohren fliegt…. Es müsste ein paar mehr Oppa Jupps in dieser Welt geben…
Oppa Jupp mit Tante Gustis Perücke, Apfelsinen in der Weste und einer Rose im Mund…
„Sei verrückt … wann immer Du kannst … „
Mit Tränen in den Augen, Dir (Euch) ein wunderschönes Osterfest wünschend…
Danke, lieber Frank! Dir und Euch auch wundervolle Ostertage…und ich kann Dir sagen, beim Schreiben der Geschichte rollte bei mir auch die ein oder andere Träne…
Danke, Kerstin, für die schöne Geschichte und die wunderbare Erinnerung an Hilgisch Jupp!
Hillisch Jupp, hieß dä 😉