„Am Ende zählt nur die Liebe“ – das, was wie der Titel einer Rosamunde Pilcher Verfilmung klingt, ist nichts anderes, als die Erkenntnis, die mir bei meiner Arbeit als Trauerrednerin Licht in meine verdunkelten Verständnisecken gebracht hat.
(Ja, Yogalehrerinnen können auch Trauerrednerinnen sein!)
Ich höre häufig, dass ich doch ein Buch über all das schreiben könnte, was mir in diesem Beruf an Schicksalen und Geschichten begegnet. Ja, in der Tat! Ich höre viele Geschichten. Ich höre schöne Geschichten, traurige Geschichten, erheiternde Geschichten, schrecklichste Geschichten, zu Tränen rührende Geschichten, urkomische Geschichten, Geschichten voller Liebe und Güte, Geschichten voller Hass und Zorn…ich höre viele Geschichten. Geschichten über ein ganz bestimmtes Leben, Geschichten über das Leben an sich. Und alle bewegen mich. Jede einzelne.
Würde ich tatsächlich ein Buch über all die Dinge, die mir in einem Zustand größter Offenheit und sensibler Verletzlichkeit anvertraut werden, schreiben, gäbe es ein zentrales Thema, das alles und jedes miteinander verbindet. Ein Thema, dass sich wie ein roter Faden durch alle Geschichten und Leben mäandert. Das Thema des roten Fadens ist die Liebe.
Ich glaube, nein – ich bin mir sicher, dass man alle menschlichen Leben auf dieses eine Thema „herunterbrechen“ kann…
Ein Menschenleben steht und fällt mit erlebter und gelebter und auch mit nicht erlebter und gelebter Liebe. Sie ist der Motor für alle Handlungen oder der Sand im Getriebe für alle Stillstände.
Die Liebe ist der wichtigste Dünger im menschlichen Nährboden für gesundes Wachstum oder wenn fehlend für mangelhaftes Wachstum. Ein Übermaß führt zu Überdüngung, auch da kümmert der Spross…
Es gibt so viele Menschenleben und damit so viele menschliche Realitäten. Und jedes Leben, jede Realität ist wahr. Auf einer bestimmten Ebene. Ein jedes Menschenleben unterscheidet sich von dem Anderen, ist eine Welt – ein ganzer Kosmos mit allen Facetten für sich, mit den verschiedensten Ausprägungen. Dennoch steht universell über allem – auf der höchsten Ebene – die Liebe, die ist, die nicht urteilt, nicht fordert…. Auf der menschlich begrenzten Ebene verstehen und erfahren wir Liebe anders. Als gelebte oder nicht gelebte Liebe, als erfahrene oder entzogene Liebe, die uns alle mit allen und allem letztendlich verbindet oder wenn nicht gelebt von allem trennt.
Besonders deutlich ist es mir durch die Erzählungen der Kriegs-und Nachkriegsgeneration geworden. Viele Menschen, für die ich die Traueransprache halten durfte, waren junge Menschen, als der 2. Weltkrieg ausbrach, wuchsen als Kinder zwischen Trümmern und Bombeneinschlägen auf , sind während Krieges oder kurz nach dem Krieg geboren worden. Wir können heute nur erahnen, was es für Kinder bedeutet hat, in einem zerstörten und verstörten, durch Krieg, Angst und Hunger geprägten Umfeld aufzuwachsen. Kinder, die mit verstummten Vätern konfrontiert waren, mit Vätern an Leib und Seele versehrt, mit Verlierern und Schuldigen, die ihre schrecklichen Erlebnisse oft mit Alkohol und Schlägen kompensierten, oder sich der Vaterrolle vollständig entzogen haben – die abwesend anwesend waren. Kinder, deren Mütter all dem genauso ausgeliefert waren, die selbst oft traumatische Dinge auf der Flucht, in Bunkern, Verschlägen…erlebt hatten, die einfach nur funktionierten, um ihren eigenen Schmerz aus- und durchhalten zu können. Gelähmt und gefangen in ihrer eigenen Versehrtheit, waren viele Eltern eben dieser Generation nicht in der Lage ihren eigenen Kindern die nötige Nestwärme, Geborgenheit und Liebe, die für ein gesundes Wachstum erforderlich ist, mitzugeben.
Und das hat diese Menschen geprägt – für ein ganzes Leben. Hat ihre Gefühle, ihre Sicht, ihre Wahrnehmung und ihr Handeln geprägt. Auf unterschiedlichste Weise…
Ich erfuhr von Menschen, die, nach allem Erlebten, schon als Kind dicht gemacht hatten, die sich verpanzert hatten .Und sich nie von ihrem undurchdringlichen Schutzschild befreien konnten. Die wiederum an ihre Kinder keine Liebe weitergeben konnten. Selbst wenn diese im tiefsten Inneren vorhanden war. Zu starr war die Kruste der eigenen Verletzung.
Ich erfuhr von Menschen, die es im Laufe ihres Lebens geschafft hatten, auch die emotionalen Verletzungen zu verarbeiten; die es mit der Zeit fertig brachten, den Panzer abzulegen. Die sich ihren Kindern zumindest später erklären konnten.
In wenigen Fällen dieser Generation, erfuhr ich von zutiefst erfahrener Liebe durch die Eltern. Liebe, die nie entzogen wurde, auch nicht im Angesicht schrecklichster Geschehnisse. Von einer Liebe, die stärker war, als Krieg, Zerstörung und Grausamkeit… Liebe, die weiter gegeben werden konnte, auch an die nachfolgenden Generationen. Liebe, die andockt an die große universelle Liebe…
Und während ich seit Wochen an diesem Blogartikel feile, merke ich dass das GROSSE THEMA LIEBE und das, was ich eigentlich ausdrücken möchte, nicht in Worte zu fassen ist. Die Liebe ist nicht in Worte zu fassen! Auch nicht meine Angst, die angesichts dessen, was alles in der Welt los ist – mangels Liebe – geschürt wird… und mein Ringen in der Liebe zu bleiben und nicht in die Angst zu gehen oder gar in Hass… auch nicht in meinem eigenen kleinen Leben, das gerade mal eher „gebeutelt“ ist – aber nicht lieblos … und bevor dieser eher flusig zerrissene Blogartikel noch flusig zerrissener wird, möchte ich mit den letzten Zeilen eines Gedichts von Jochen Jülicher enden, das ich gerne auf Trauerfeiern verwende:
„…lebt so viel ihr könnt,
habt lieb so viel ihr könnt,
geht Euren Weg mit Kraft zu Ende!“
In diesem Sinne, für heute flusig, demnächst wieder abgefusselt,
ALLES LIEBE, Kerstin