oder was es mit der Wahrheit auf sich hat…
Da gab es den Bruder von Oppa Jupp, Onkel Hans, der mit seiner Familie im Haus gegenüber wohnte. Zu der Familie die in Onkel Hans lebten, gehörten seine Frau, sein Sohn mit Frau und deren drei Töchter– meine drei Großcousinen. Als Einzelkind war ich froh, nur mal eben über den Wendehammer – der immer nur „der Platz“ hieß – sausen zu können, um jederzeit Spielkameradinnen vorzufinden.
Onkel Hans war ganz anders als Oppa Jupp. Onkel Hans war laut, schimpfte oft mit uns Kindern, hatte eine furchteinflößend laute Stimme. Ich erinnere ihn in seinem weißen Rippenunterhemd, das locker über der Arbeitshose hing, mit hochrotem Kopf die Fäuste schwingend und uns Kindern hinterher brüllend, wenn er sich durch uns gestört fühlte. Wir hatten tatsächlich Angst vor ihm, besser man ging Onkel Hans aus dem Weg. Was auch kein Problem war. Unsere Kinderwege waren voller paradiesischer Verstecke, geheimer Winkel und hoher Bäume, in denen man einfach unsichtbar werden konnte.
Gerne trugen wir Kinder unser Taschengeld in das „Büdchen“, einem Kiosk, zwei Straßen weiter. Da bekam man einfach alles! Für 50 Pfennig hatte man 5 Wassereis, eine Tüte voller Gummizeugs, dass man sich aus großen Behältern einzeln herausfischte, oder aber auch ein Fläschchen mit Liebesperlen, dessen Verschluss so einen Nuckel hatte.
Es war ein heißer Sommertag, ich spielte mit meinen Cousinen – wie so oft – unendlich lange Rollenspiele, Vater, Mutter, Kind – so in der Art, der große Birnbaum war das Haus, jeder große Ast auf dem man sitzen konnte, war ein Zimmer. Am Nachmittag kam unsere Büdchen-Zeit, wir trugen unsere Groschen in den kleinen Laden, Wassereis, saure Gummibärchen; meine Wahl fiel auf das Fläschchen mit den bunten zuckrigen Liebesperlen. Bald nach dem wir mit unseren Schätzen in unser Baumhaus zurückgekehrt waren, ereilte meine Cousinen der Ruf, nach drinnen zu kommen. Da stand ich nun mit meinen Liebesperlen! Zu viele, um sie alleine zu essen, nach Hause bringen konnte ich sie nicht, mir war das doofe Zuckerzeug verboten…
Was tun? Ich musste die Dinger loswerden! In meiner Not lief ich zum Haus meiner Cousinen, in dem ja auch Onkel Hans lebte, öffnete den Briefschlitz in der Haustür und schüttete den gesamten Inhalt der kleinen Flasche einfach durch die Öffnung. Durch die Glasscheibe in der Tür konnte ich sehen, wie sich hunderte bunter Perlchen im ganzen Flur verteilten. Das hinter dem Briefschlitz kein Kasten war, hatte ich nicht bedacht. SCHOCKSTARRE! Das Bild des wütenden Onkel Hans tauchte vor meinem inneren Auge auf. Ich schnappte mir das leere Fläschen, sauste über den Platz, durch Oppa Jupps Garten über die Veranda in unser Haus und versteckte mich hinter der Badezimmertür. Das leere Fläschchen ließ ich im Wäschekorb verschwinden.
Ich weiß nicht, wie lange ich hinter der Tür gestanden habe – es war eine gefühlte Ewigkeit. Scham, Angst und Ohnmacht hatten sich hinter der Tür zu mir gesellt. Ich wusste, dass das, was ich getan hatte, nicht richtig war, aber bei dem Gedanken an den donnernden Onkel Hans, versteckte ich mich lieber, blieb mit meinen verstörenden Gefühlen zitternd hinter der Tür stehen, harrend der Dinge, die da unweigerlich kommen würden. Die Dinge ließen auch nicht lange auf sich warten. Bald schon hörte ich den schimpfenden Onkel Hans über den Hof kommen, Oppa Jupp, der beschwichtigend auf ihn einredete im Schlepptau, wurde ich bald hinter der Badezimmertür gefunden und zur Rede gestellt. Mein anfänglich hilfloses Leugnen erwies sich als zwecklos, die Lüge war enttarnt, denn Onkel Hans hatte mich bei meiner Liebesperlen-Entsorgung beobachtet.
Mutter Mary, meine Oma, die inzwischen auch hinzu geeilt war, hielt den wütenden Hans im Zaum, Oppa Jupp holte Kehrblech und Besen, nahm mich bei der Hand und brachte mich über den Platz zum Ort der Unmut. Eigentlich sahen die verstreuten Liebesperlen wunderschön aus, wie sie so den tristen Flur verzierten. Oppa Jupp sagte: „Schön bunt“, grinste verschmitzt und drückte mir Kehrblech und Besen in die Hand und ich fegte jede einzelne der Perlen, die klickernd auf das Blech rollten, auf.
Nachdem wir die Liebesperlen gemeinsam im Mülleimer entsorgt hatten – erleichtert ließ ich den Deckel mit einem lauten „Rums“ zufallen – kam uns Onkel Hans, inzwischen, dank Mutter Mary, wieder etwas beruhigter entgegen. „Hans, et is doch alles juuht“, sagte Oppa Jupp und brachte mich zu seiner Gartenbank, um den obligatorischen Apfel mit mir zu teilen. Es war einer der besten Äpfel meines Lebens; tausendmal leckerer, als das bunte Zuckerzeugs.
Schimpfen war nicht mehr nötig. Ich hatte durch das Erlebte hinter der Badezimmertür definitiv meine Lektion auf mehreren Ebenen gelernt. Wäre ich von Anfang an bei der Wahrheit geblieben, hätte ich die Liebesperlen einfach nach Hause getragen, hätte ich mir zwar auch was anhören müssen, es wäre aber sachlich geklärt worden. Was ich daraus gemacht habe, war, mich von meiner Angst und Panik leiten zu lassen, die alles um so viel schlimmer gemacht hatte. Also lernte ich: Angst ist definitiv ein schlechter Ratgeber. Ich lernte noch, dass Lügen ziemlich leicht enttarnt werden können und sie deshalb kein gutes Mittel zum Zweck sind. Außerdem schüren sie nur noch mehr Angst.
Was die Verbindung zum Yoga bringt. Yoga ist Leben. Satya, die Wahrhaftigkeit – einfach übersetzt, als das erste von Patanjalis Yamas, erkenne ich in meiner Geschichte. Immer wieder werde ich darauf gestoßen, welche Essenzen in den Yamas und Niyamas stecken und wie oft sie mir im täglichen Leben begegnen, wenn ich den Dingen mit Achtsamkeit begegne.
Durch Oppa Jupps Art mit den Dingen umzugehen, lernte ich durch Erfahrung zu erkennen. Und ich kann nicht oft genug wiederholen, wie dankbar ich dafür bin. (Logisch war er nicht mein einziger „Erziehungsberechtigter“, aber eben ein Wesentlicher…)
Danke, Oppa Jupp!
Ich, Kerstin, auf dem geliebten Emailletöpfchen sitzend, die Erkenntnisse verkündend 😉
wieder eine einzige freude deine geteilten erlebnisse mit zu erleben! danke! kein wunder das du so bist wie du bist..ein grossartiger weiser liebenswerter mensch. aber das wusste ich ja schon ☺
Dicken Knutscha!!! <3 <3 <3 Geht alles an Dich zurück!!!
Eine wunderbare, herzerwärmende Geschichte, liebe Kerstin! Wegen deiner unnachahmlichen Art dich auszudrücken, freut man sich auf jeden weiteren Satz.
Weiter so!…und die Verbindung zum Yoga ist einfach so naheliegend…ehrlich zu sich selbst sein, bei sich sein, Erfahrungen körperlich und geistig umsetzen…Ganz liebe Grüsse an dich!
Danke, liebe Anja! Es macht mir große Freude, wenn ich Menschen durch mein Schreiben erreiche…danke!
Liebes k,
ich kann mich den vor mir geschriebenen Liebes- und Lobesworten nur anschließen – welch ein Glück für Dich, Opa Jupp als Begleiter gehabt zu haben! Und Du trägst das Erfahrene auf wunderbare Weise weiter.
Viele herzliche Grüße nach Neverstaven
von Deiner Renate
Danke, liebe Renate, für Deine Worte. Es freut mich riesig, wenn ich Oppa Jupp durch meine Geschichten weiterleben lassen kann und es jemandem Freude macht, sie zu lesen.
Alles Liebe, Kerstin