OPPA JUPP, DIE WÜSTE & DIE INNERE TÜR…

Oppa Jupp,die Wüste und die innere Türe.. copy

…oder wie alles mit allem verbunden ist.

Ich saß gestern hier auf dem Land an meinem Schreibtisch in der Küche, schaute durch die breite Fensterfront nach draußen auf die Scheunen und meine geliebte Linden-Kathedrale. Noch sind die Bäume kahl – der strahlend blaue Himmel, die Sonne, die sich ihren Weg klar und scharf durch die Äste schnitt, suggerierten einen nahenden Frühling. Im Grün, durchtränkt vom Regen der letzten Tage, reckten Winterlinge ihre gelben Köpfchen  dem eisigen Ostwind entgegen.

Und heute morgen präsentiert sich die Landschaft unter einer weißen Decke, die alles Grün verhüllt – von nahendem Frühling keine Spur mehr und meine Gedanken wandern zurück zu meinem Jahreswechsel in der Marokkanischen Wüste.

Den letzten Abend des alten Jahres verbrachte ich am Lagerfeuer sitzend inmitten der hohen Dünen der Sahara mit Menschen aus unterschiedlichsten Teilen der Welt – einige kannte ich, andere hatte ich kurz vorher erst kennengelernt. Da saßen Menschen aus Deutschland, Österreich, Spanien, den Vereinigten Staaten, Georgien, Israel, Bangla Desh und Marokko friedlich beisammen, über allem lag das Gefühl der Einheit, des Zusammengehörens auf diesem Planeten, der Verbundenheit.Die Trommelklänge der Sahraoui – Nomaden taten ihres hinzu um alle in einen meditativen Zustand der zufriedenen Glückseeligkeit zu versetzen, in dem Raum und Zeit überwunden werden und in dem es keine Grenzen mehr gibt. Ein atemberaubende Sternenhimmel überspannte unser Lager, führte uns die Unendlichkeit und das Sandkorndasein eines jeden Menschen vor Augen.  Wenn die Trommeln verstummten, hörte man nichts anderes, als die ohrenbetäubende Stille der Wüste, die das Knistern der Flammen laut übertönte.

Meine Gedanken schweiften  vom im Augenblick sein, vom  friedlichen wohlwollenden Miteinander der Menschen aus verschiedenen Kulturen am Feuer, zur inneren Jahresrückschau, tanzten zu Menschen, die es in meinem Leben gibt und gab und klar – irgendwann landete der Strom meiner Gedanken verdichtend bei Oppa Jupp.

Mir kam ein Satz von ihm in den Sinn, den er oft wiederholte:

Wenn jeder vor seiner eigenen Tür kehren würde, dann wäre die Welt in Ordnung!

Als Kind stellte ich mir dann immer alle Nachbarn vor, die gleichzeitig die Haustüren öffneten, mit einem Besen in der Hand vor die eigenen Haustüren traten und dort kehrten, was das Zeug hielt. Und ich stellte mir die Frage, warum dann die Welt in Ordnung sein sollte.
In meinem Kinderleben gab es durchaus Widrigkeiten, wie Sonntags in ein schreckliches Kleidchen gesteckt zu werden, die sich durch das Kehren der Nachbarn vor ihren Haustüren nicht bei Seite räumen ließen. Oppa Jupps Aussage hat sich meinem kleinen Kinderhirn nicht wirklich erschlossen und ich gab die Grübelei über diesen für mich absurden Satz auf – ohne ihn zu vergessen.

Viel später erst verstand ich, was Oppa Jupp damit gemeint hat: Wenn jeder gut für sich selber sorgt und dafür Sorge trägt, dass im eigenen Leben und im Leben seiner Liebsten  alles gut ist, dann kehrt man vor der eigenen Türe.

Wenn man sich auf seine eigene Stärke besinnt, an die eigenen Fähigkeiten glaubt, wenn man achtsam mit sich und seinem Umfeld ist, wenn man, um es in eine yogische Sprache zu übersetzen, die Yamas und Nyamas pflegt – dann erreichen wir einen Zustand der inneren Zufriedenheit, der es uns erlaubt nicht mehr schauen zu müssen, was der Nachbar macht, uns nicht mehr mit dem Nachbarn vergleichen zu müssen oder gar in das Leben des Nachbarn eingreifen zu müssen. Dann kehren wir vor unserer eigenen Türe. Und wenn jedem Menschen das gelingen könnte, dann wäre die Welt tatsächlich in Ordnung.

Am Lagerfeuer darüber nachsinnend, war und bin ich unendlich dankbar, an der Seite von Oppa Jupp groß geworden zu sein. Wie tief seine einfachen Weisheiten gewesen sind, weiß ich heute. Vieles davon konnte ich für mich mitnehmen. Was Oppa Jupp mir auch gezeigt hat, ist wie wichtig es ist, auch vor „der inneren Tür“ zu kehren. Seine Gedanken und sein Tun zu hinterfragen, die Motivationen, die dahinter stehen auch kritisch zu betrachten und letztendlich auf die Yamas hin zu überprüfen.

Am Lagerfeuer sitzend kam ich wieder nur zu dem einen Schluss: Oppa Jupp war ein Yogi – auch wenn ich ihn nie im Lotussitz gesehen habe oder auf dem Kopf stehend.

Für alle, die noch nie was von den fünf Yamas gehört haben: Sie gehören zum Yoga-Weg und gelten als eine Art yogische Selbstkontrolle im Umgang mit Anderen; soziale Interaktionen. Für alle anderen, die die Yamas kennen, als Auffrischung, die man beim kehren vor der eigenen Haustüre immer mal wieder betrachten darf.

Die fünf Yamas:

1. Satya Wahrhaftigkeit
2. Ahimsa Frei sein von Gewalt (körperlich und geistig), nicht verletzen – weder körperlich,    noch verbal oder im Geist
3. Asteya Ehrlichkeit, nur das besitzen , was mir zusteht
4. Aparigraha Nicht horten, frei sein von Besitzansprüchen
5.Brahmacharia  Stetes Wandeln im Göttlichen


Was in Deutschland in der Sylvesternacht geschah, erfuhr ich erst später. Was daraus folgte und immer noch folgt, erschüttert mich im tiefsten Inneren und ich wünschte mir, dass mehr Menschen vor der eigenen Haustüre gekehrt hätten…

In diesem Sinne:

Möge der Besen mit uns sein!

Kerstin

 

 

 

 

Oppa Jupp als Schüler

11 Antworten auf „OPPA JUPP, DIE WÜSTE & DIE INNERE TÜR…“

  1. Liebe Kerstin,
    Dein blog berührt mich sehr, und ich kann sehr gut nachempfinden…genannt Empathie 🙂 So sind wir verbunden mit dem Ganzen und dem was sein soll….ich bin so sehr dankbar, dass es Dich in meinem Leben gibt 🙂 Danke aus meinem Herzen und in tiefer Verbundenheit, Shoshan

  2. Liebe Kirstin,
    ich bin gerade sehr berührt und dankbar. Freue mich immer einen neuen Block von Dir zu lesen und fühle mich, wie dabei gewesen zu sein. Wie schön ein Stück gemeinsam mit Dir zugehen und zu sein.
    Hannelore

  3. So anrührend, von Deinem Oppa Jupp und seiner yoginischen Haltung zu lesen! Und wie diese Dich, Dein Leben geprägt hat und prägt! Und wir dürfen daran teilhaben…Danke, liebes k!

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